Alles Auslegungssache oder im Netz der Kunst gefangen

Für den Kunst-Grundkurs der Q1 ging es Anfang der vergangenen Woche in das K21, Museum für Gegenwartskunst in Düsseldorf.  Anlass des Besuches waren die fotografischen Arbeiten von Thomas Struth aus seiner Serie Audience, die das Museum für seine Sammlung gewinnen konnte. 

Der dialogische Rundgang startete jedoch zunächst mit Arbeiten des zeitgenössischen Düsseldorfer Künstlers Reinhard Mucha. Die Mischung aus Fotografie, Installation und Skulptur veranlasste die Schülerinnen und Schüler sofort in heiße Diskussionen einzutreten.

Warum sind die Schaukästen schwarz bebändert? Was sollen die Stühle daneben, darf ich mich nun setzen oder nicht? Ihre genaue Beobachtungsgabe ließ weitere Fragen aufkommen; die Fotografien in den Schaukästen sind ähnlich, aber doch unterschiedlich – warum? Mucha lädt den Betrachter ein in den Dialog mit seinen Arbeiten zu treten, lässt dabei Fragen des Zugangs offen. 

Für die Schülerinnen und Schüler war dies teilweise unbefriedigend, weil sie keine eindeutige Lesbarkeit und Interpretation der Werke erhielten. Wozu haben wir schließlich eine Führung gebucht? Das Schulen des eigenen Bewusstseins, die Anknüpfungen an individuelle Erfahrungen jedes Einzelnen, der Austausch über individuelle Wahrnehmungen, darum geht es immer wieder in der Kunst. Genau dies wurde den Schülerinnen und Schülern schon in den ersten zehn Minuten deutlich. 

Muchas Kombination von Texten und Diktaten aus seiner eigenen Schulzeit und Fotografien ließen weitere Spekulationen zu. Die Gegenüberstellung von Text und Bild kann kein Zufall sein. Die Auswahl und das Schwärzen der schulischen Texte, eine bewusste Entscheidung. Schnell war den Betrachtern klar, dass es sich bei den Werken Muchas um ein konzeptuelles Arbeiten handelt. So wurde der Bogen zu Thomas Struth und seinen fotografischen Arbeiten gespannt. Sofort schlüpften die Gruppen in die Rolle des Betrachters und erforschten Mimik, Gestik und Körperhaltung der abgebildeten Figuren der monumentalen Fotografien. Nachdem aufgedeckt wurde, dass sich die Personen auf dem Werk zum Zeitpunkt der Aufnahme in eben jene Rolle der Kunstbetrachteten befanden, entfachte die Diskussion um den Grad der Abbildhaftigkeit der Realität bzw. der Manipulation des Dargebotenen. Struth spielt in seinen Fotografien immer wieder mit dem Ablichten der Wirklichkeit.  In vielen Fällen bleibt offen wie viel Bearbeitung in den Bildern steckt, auch wenn er selbst angibt so wenig Bearbeitung wie möglich vorzunehmen.

„Es sind aber keine schnellen Schnappschüsse und auch keine perfekt durchinszenierten Fotografien.“ „Er muss sich schon als Fotograf zurücknehmen oder die Kamera verstecken, nur so können so viele unterschiedliche Emotionen auf dem Bild auftauchen.“ „Wahrscheinlich hat er aus einer Masse an Bildern diese hier gezielt ausgewählt.“ „Ist es jetzt also Kunst, Leute abzulichten, die andere Kunst angucken?!“ Die Betrachtung vor den großen Abzügen seiner digitalen Aufnahmen im Museum weckte Assoziationen, wie keine Projektion und kein farbiger Druck in der Schule es hätte auslösen können. 

Der krönende Abschluss der Exkursion führte uns in zwei Gruppen unter die Glaskuppel des alten Ständehauses. Die Installation in orbit des Künstlers Tomás Saraceno ermöglicht Kunstbetrachtung mit allen Sinnen. Sehen: 25 Meter in die Tiefe durch ein nahezu transparentes Stahlnetz. Hören: Begeisterungsrufe und Äußerungen der Fassungslosigkeit. Fühlen: die eigene Bewegung im Netz und die Bewegungen, die durch die Gruppe entstehen. Riechen: Adrenalin bei den Höhebegeisterten und den Ängstlichen sowieso. Das Werk ermöglicht eine ganz spezielle Form der Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk. Für viele eine Grenzerfahrung, eine Erfahrung die verbindet, eine Erfahrung, die in Erinnerung bleibt. 

Hannah Kern